Pater Friedrich Lorenz, OMI, als Militärgeistlicher,
ein Zeugenbericht über seine Tätigkeit während des Polenfeldzuges 1939/40 von Pfarrer Leon Schliep,
entnommen aus: Klosterkamp OMI, Thomas; „Kind und Opfer seiner Zeit“ Pater Friedrich Lorenz OMI Ein Lebensbild, Rom 1994,s.S.49,52-55; interne Veröffentlichungen zur Eröffnung eines Seligsprechungsverfahrens
„Am 26.August 1939 trat Pater Lorenz sein Amt in der Militärseelsorge an. Ihm wurde die katholische Seelsorge für eine pommerische Landwehrdivision, die 107. Infanteriedivision, übertragen. Diese Division hatte ihre Standorte im Wehrkreis Stettin. (s.S.49)…
Pater Lorenz wirkte nur 16 Monate als „Kriegspfarrer“. Was war hier seine Tätigkeit? Über den Alltag des Militärseelsorgers Lorenz liegen keine Zeugnisse vor. Seine Aufgabe war wohl in erster Linie die individuelle menschliche Begleitung des einzelnen Soldaten, der sich durch den Krieg „im Felde“ in einer neuen Lebenssituation zurechtfinden musste und in dieser neuen Umgebung gerade durch den Krieg bedingt an die Grenzfragen menschlicher Existenz herantrat. Dazu kamen dann die pastoralen Aufgaben gegenüber der „Soldatengemeinde“, Gottesdienste, Lazarettseelsorge, lebenskundliche Unterweisung und vor allem viele kleine zwischenmenschliche Dienste.
Der Polenfeldzug
Der Krieg führte Pater Lorenz zunächst nach Polen. Einberufen wurde Pater Lorenz am 26. August 1939, dem geplanten Kriegsbeginn…Im September 1939 war die 207. Infanteriedivision zunächst in den Raum Büttow vorgestoßen. Von dort zog sie über Karthaus und Gotenhafen zur Oxhöfter Kämpe und schließlich gelang der Division der Vorstoß auf die Halbinsel Hela.
Am Ende des Polenfeldzugs wurde Pater Lorenz aufgrund seines vorbildlichen Dienstes die militärische Auszeichnung der Spange zum Eisernen Kreuz 2. Klasse verliehen. Der Wehrmacht waren die Gestapo und die SS in die besetzten Gebiete gefolgt. Neben der Vernichtung der Juden begann SS und Gestapo mit der systematischen Verfolgung der katholischen Kirche Polens. Pater Lorenz wurde Augenzeuge dieser Verfolgung. So hatte er in der Zeit der Militärseelsorge nicht nur seine Dienstpflicht genau erfüllt. Er hat in Polen auch auf andere, besondere Weise priesterlich gewirkt.
Priesterlicher Dienst für die Kirche im besetzten Polen
Über diesen außerordentlichen Dienst des Feldgeistlichen Lorenz berichtet ein Priester der Diözese Danzig, der hier vollständig wiedergegeben werden soll, da er viel über die Verhältnisse und Vorgänge im besetzten Gebiet und auch über die Person Pater Lorenz aussagt:
-„Als die deutschen Truppen Gotenhafen anfangs September 1939 eroberten, fragten wir uns in Zoppot, wer wird der erste deutsche Kriegspfarrer sein, den wir in Zoppot begrüßen werden. Bald darauf erfuhr ich von Herrn Dekan Schütz/Zoppot, dass sich ein Kriegspfarrer mit Namen Lorenz vorgestellt und im Hotel Reichsadler Wohnung genommen hat. Ein Angebot des Dekans Schütz an Lorenz, im Pfarrhaus zu Zoppot zu wohnen, hatte dieser abgelehnt mit dem Bemerken, es sei dem katholischen Kriegspfarrer nicht gestattet aus militärischen Gründen, im Pfarrhaus des okkupierten Gebietes zu wohnen.
Ich hatte das größte Interesse, mit Lorenz in Verbindung zu kommen, weil er allein als katholischer Priester damals das Kampfgebiet bereisen konnte und durch ihn somit die Möglichkeit gegeben war, meinen beiden Brüdern, den Vikar Kasimir Schliep in Lubichau, Kreis Stargard, und den Vikar Bruno Schliep in Suleczyno, Kreis Karthaus, besuchen zu lassen. Ich wußte damals nicht, ob meine beiden Brüder noch lebten. Er sollte mir über sie irgend eine Nachricht bringen.
Lorenz machte bei mir Ende September einen Besuch und erklärte sich bereit, meine beiden Brüder zu besuchen. Lorenz machte auf mich den Eindruck eines charakterfesten, treudeutschen und Kraft ausstrahlenden, pflichtbewußten Soldaten, der mit treuer und ganzer Hingabe sich seiner Seelsorgsaufgaben als Kriegspfarrer widmete. Durch ihn erfuhr ich auch Einzelheiten über die Aufgaben eines Kriegspfarrers im Kriege, aber auch von den vielen Schwierigkeiten und dem Unverständnis, das Lorenz bei vielen Soldaten und Offizieren fand. Lorenz aber wußte sich stets in der Wahrnehmung seiner Seelsorgsbelange durchzusetzen und sich Achtung und Respekt zu verschaffen. Sein bester Kamerad im Offizierskorps seiner Division war der Adjutant des Generals, der die pommersche Landwehrdivision befehligte, Graf von Schwerin, ein ausgesprochener Gegner Hitlers, wie es auch Lorenz war.
Lorenz wirkte in seiner Offiziersuniform bescheiden und einfach. Offiziersdünkel lagen ihm gar nicht. Seine Worte waren kurz und sachlich und sehr vorsichtig gewählt. Was er zu verschweigen hatte, gab er nicht preis. Prahlerei kannte er nicht. Viel Reden liebte er scheinbar auch nicht.
Lorenz war der erste Kriegspfarrer, der Danzig Boden betreten hatte und der erste Kriegspfarrer, der den Mut aufbrachte, auch in polnische katholische Pfarrhäuser zu gehen in dem Gebiet Danzig-Dirchau – Stargard – Konitz – Putiz – Neustadt – Zoppot, um den verängstigten noch lebenden polnischen Priestern, den katholischen Priestergruß zu entbieten, die Hand ihnen zu geben, sie , unterweisen, wie sie sich zu den deutschen militärischen und zivilen Behörden verhalten sollten. Er mußte sie aber auch aufmerksam machen, dass die Nazis Feinde der Kirche, besonders der polnischen Priester sind, und hat den Priestern geraten, ihre Gemeinden nicht zu verlassen als treue Hirten, sondern mit ihnen das Leid zu teilen, und selbst auch, wenn es sein muss, den letzten Gang mit der Gemeinde, auch in den Tod, zu gehen.
Ich selbst habe Lorenz im Unterschied zu vielen anderen Kriegspfarrern, dich ich im Laufe des Krieges kennenlernte, kennengelernt als einen Soldatenpriester, der eisern konsequent war bis zur Hingabe des Letzten. Diese Strenge und harte Pflichtauffassung hatte zur Folge, dass er nie froh, witzig und freudiger Stimmung sein konnte. Im Gegenteil. Er war immer ernst, ja oft gedrückter Stimmung. Ich hatte den Eindruck, dass er sich zu sehr seelisch quälte.
Gerade dazu war ja auch Anlass gegeben. Er hat viele polnische Pfarrer besucht, von denen er wußte, dass sie, weil sie geflohen waren, bald von der SS liquidiert werden würden. Das Leid der polnischen gehetzten Priester war sein Leid, der Schmerz der Angehörigen der ermordeten oder inhaftierten Priester, die er noch in den Pfarreien vorfand, war auch sein Schmerz. Er sah die von SS verjagten Polen, wie sie in die Lager oder in die Wälder abgeführt oder nach dem General-Gouverment abtransportiert wurden, wenn man sie quälte, die Wohnungen durchsuchte und zerstörte, Schmucksachen wegnahm. Darunter litt er seelisch so stark, dass er manchmal weinte und von mir einen Danziger Machandel forderte, um bisschen aufzutauen und anderer Stimmung zu werden.
Mir selbst gegenüber hatte er nicht den Mut zu sagen, dass mein Bruder ermordet sei und nicht wiederkomme. So manchen polnischen Priester hat er auch auf den Tod vorbereitet, da er wußte, dass er nicht zu retten war.
Ich hatte manchmal den Eindruck, dass gerade er von der göttlichen Vorsehung ausgewählt sei, hier in diesem furchtbar heimgesuchten Gebiet der Diözese Culm, wie ein Vinzenz von Paul priesterlich zu wirken. Wo er nur konnte, hielt er Gottesdienste für Soldaten ab. Einmal waren nur 7 Männer erschienen, dass entmutigte ihn nicht, ständig wie ein „Trommler Gottes“, die Soldaten zu Gottesdiensten zu sammeln. Sein größtes Werk ist, dass er dafür sorgte, dass die Diözese Culm so schnell wir möglich eine bischöfliche Leitung in der Person des Danziger Bischofs Dr. Carl Maria Splett bekam, um die Diözese vor der Ausplünderung und dem Zerfall zu retten.
Lorenz besuchte mich fast immer, wenn er Sonntags von seinen Seelsorgsfahrten in der Diözese Culm nach Zoppot zurückkehrte, um mir Grüße von bekannten polnischen Geistlichen zu übermitteln oder mir seine Erlebnisse und Eindrücke gleich zu erzählen. Er hatte zu mir großes Vertrauen, da ich selbst aus der Diözese Culm stammte, die dortigen Verhältnisse gut kannte, viele gute Bekannte unter dem polnischen Klerus hatte und somit auch manche Winke zur Bereicherung seiner Kenntnisse über die Verhältnisse in der Diözese Culm geben konnte. Durch die Flucht des Bischofs Dr.Okoniewski aus Pelplin vor dem Einrücken der deutschen Truppen und durch die Ermordung fast aller Pelpliner Domherren, Professoren und Kanzleibeamten war die Diözese Culm in der Führung total verwaist. Überall ein Tohuwabohu. Lorenz sah alles, wußte aber keinen Ausweg. Ich bat ihn, Bericht an den Feldbischof Rarkorski zu geben und ihn um Hilfe anzugehen. Rakorski kam nicht, trotzdem Lorenz, soviel ich weiß, persönlich Rakorski anging, zu Studium der Lage in der Diözese Danzig und Culm nach Danzig zu kommen.
Da bewog ich ihn, mit Bischof Dr. Splett Verbindung aufzunehmen. Anfangs zögerte er, weil für ihn als Militär der Weg zu einem Bischof nicht der richtige Instanzenweg war. Nachdem er aber Ende September 1939 den Bischof Dr. Splett auf den Priesterexerzitien in Schloss Hochwasser bei Zoppot kennengelernt hatte, hat er dem Bischof Dr. Splett anfangs Oktober 1939 persönlich mehrmals über die Lage in der Diözese Culm berichtet und ihn gebeten, die Diözese Culm in Verwaltung zu übernehmen. Ich drängte Lorenz immer wieder, den Bischof ständig zu bearbeiten, das zu tun. Schließlich war der Bischof soweit mürbe gamacht, dass er sich zu einer Reise nach Berlin zum Nuntius Orsenigo entschloss. Der Bischof sammelte Unterlagen. Lorenz half ihm dabei, und wenn ich mich nicht irre, besorgte er ihm auch die Reisegenehmigung. Nach der Rückkehr des Bischofs von Berlin kam Lorenz zu mir und war erfreut, mit mitzuteilen, dass der Bischof von Orsenigo beauftragt wird, die Diözese Culm zu übernehmen, was dann auch nach kurzer Zeit eintrat.
Lorenz war kein Genußmensch, er wußte wie weit er als Priester zu gehen hat, um das Decorum clericale nicht zu verletzen. Er strengte sich an, jeden Tag sein Brevier zu beten. Er verließ, wenn er das Brevier im Hotel Reichsadler nicht beten konnte, unauffällig das Hotel, kam ins Pfarrhaus, um hier in einem stillen Zimmer das Brevier zu beten, schnell ein paar Worte mit dem Priester zu sprechen, um dann wieder gleich zurückzugehen. Denn er durfte höchstens eine Stunde wegbleiben, um nicht aufzufallen.
Lorenz erzählte mir viel von der Gestapo und warnte uns vor ihr. Durch ihn lernte ich erst die Gestapo kennen. Auch von Haussuchungen von Wohnungen in Stettin bei Geistlichen erzählte er uns. Wir kannten damals in Danzig noch
keine Gestapo und waren erschreckt, von Lorenz zu hören, was das für eine Machtorganisation war. Ich muss bekennen, dass ich manchmal aus Lorenz Worten heraus hörte, als ob er eine Ahnung hatte, dass er durch die Gestapo eines gewaltsamen Todes sterben würde. Denselben Eindruck hatte auch meine Schwester“-
An dieser Stelle bricht der Bericht des polnischen Priesters aus Zoppot ab. Weder Datum noch der Name des polnischen Priesters werden genannt. Pater Leinberger (eigene Anmerkung: Provinzial der deutschen Oblatenprovinz) hat schon 1946 Teile dieses Berichtes in einem Artikel zu Pater Lorenz verwandt. Das Zeugnis stammt also aus der unmittelbaren Zeit nach dem Krieg. Der Verfasser dieses Berichtes ist nach Aussage des Textes der Bruder der beiden Priester, Kazimierz Schliep und Brunon Schliep, die in der Diözese Pelplin wirkten. Eine Anfrage beim Diözesanarchiv in Pelplin ergab, dass Vikar Kazimierz Schliep, geboren am 16. Februar 1910 in Lubichowo, im Herbst 1939 von der SS verhaftet und am 16. September 1939 in einem Wald ermordet wurde. Diese Aussage deckt sich also mit dem vorliegenden Text. Der zweite Bruder Vikar Brunon Schliep, geboren am 9. Dezember 1912, wurde am 1. Juni 1940 durch die SS verhaftet. Nach einer Gefängnishaft in Danzig kam er am 9. Juli 1940 ins KZ Stutthof (Gefangenen Nr. 9888). Er wurde am 22. Dezember 1940 aus dem KZ entlassen und ging als Geistlicher nach Berlin-Köpenick.
Eine zweite Anfrage beim Diözesanarchiv in Pelplin gab Aufschluss über den Verfasser des Briefes. Es muss sich um den damaligen Administrator der St. Nikolai Kirche in Zoppot, Leon Schliep handeln, der nach dem Krieg als Pfarrer für Flüchtlinge nach Hardegsen in der Diözese Hildesheim kam, wo er 1968 starb. Weiter liegen beim Diözesanarchiv Pelplin keine Unterlagen zu Pater Lorenz vor. Wenn dort Archivalen aufbewahrt wurden, sind sie 1945 dem Brand zum Opfer gefallen, der das Pelpliner Diözesanarchiv völlig zerstörte. Der Brief von Vikar Leon Schliep bleibt bislang das einzige Zeugnis des Wirkens von Friedrich Lorenz als Kriegspfarrer in Polen.
Das im Bericht beschriebene, im Sinne des Nationalsozialismus illegale Handeln, muss von Pater Lorenz in aller Stille und heimlich vollzogen worden sein, denn es wird in seinem späteren Prozess nicht einmal erwähnt. Eindeutig geht aus diesem Bericht die ablehnende Haltung Pater Lorenz gegenüber dem Nationalsozialismus hervor. Interessant scheint in diesem Zusammenhang auch die „Kameradschaft“ zwischen Pater Lorenz und Graf Ulrich-Wilhelm von Schwerin Schwanenfeld (1902-1944). Der Graft war zunächst der Ordonanzoffizier von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben. Beide Offiziere gehörten zum militärischen Kern des Widerstandes in Berlin. 1943 wurde Graf Schwerin von Schwanenfeld zum Hauptmann im Amt des Quartiermeisters befördert. Innerhalb der Militäropposition gegen Hitler war er am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt. Zu Verantwortung gezogen wurde er im September 1944 zusammen mit den Offizieren des Widerstands Fritz Dietlof von der Schulenburg, Peter York von Wartenburg und Berthold Schenk von Stauffenberg in Berlin hingerichtet. Welches Wissen mag diese Freundschaft Pater Lorenz eingebracht haben?“ (s.S.52-55)